Der Enterprise Value (EV)
Aktualisiert: 6. Apr. 2021
Der Enterprise Value wird in Theorie und Praxis in vielfältiger Weise berechnet und interpretiert. Im engeren Sinne (bei wörtlicher Übersetzung) bezeichnet der Enterprise Value den Marktwert des Unternehmens, also die Summe der Marktwerte von Eigen- und Fremdkapital. Zur besseren Abgrenzung wird dieser Wert auch als Firm Value bezeichnet. Bei ökonomischer Betrachtung bezeichnet der Enterprise Value den Preis, den der Übernehmer eines Unternehmens finanzieren muss, wenn er das gesamte Kapital (Eigen- und Fremdkapital) des Unternehmens übernehmen möchte.
Der Firm Value
Die Unterschiede zwischen Firm- und Enterprise Value werden deutlich, wenn man die Marktwerte des Unternehmens in einer Vermögensbilanz darstellt.

Abbildung 1: Firm Value
Auf der linken Seite der Bilanz wird die Entstehung des Unternehmensvermögens deutlich. Unternehmen schaffen Vermögen, indem sie das betriebsnotwendige Vermögen (Invested Capital, Capital Employed) einsetzen, um fortlaufend finanzielle Überschüsse (EBIT, EBITDA, NOPAT, Operative Free Cashflows etc.) zu erzielen. Neben dem in der Rechnungslegung ausgewiesenen Sachanlagevermögen gehören dazu auch das immaterielle Vermögen wie Patente/Lizenzen, der Markenname oder das Image eines Unternehmens. Daneben verfügen viele Unternehmen aber auch über erhebliches nicht-operatives Vermögen (Cash, Wertpapiere, Immobilien). Auf das gesamte Vermögen des Unternehmens haben alle Kapitalgeber (auf der rechten Seite der Vermögensbilanz) Ansprüche.
Der Wert des nicht-betriebsnotwendigen Vermögens wird häufig unterschlagen oder nicht adäquat angesetzt. Dies kann eine erhebliche Verzerrung der Unternehmensbewertung zur Folge haben.
Beispiele: Viele Unternehmen (z.B. Bollore oder Experian) verfügen über wertvolle Beteiligungen, die nicht vollkonsolidiert werden (Bilanzierung at equity). Apple besitzt sehr hohe Cash Reserven (ca. 200 Mrd. €) Die Ergebnisse dieser Beteiligungen und Finanzanlagen spiegeln sich nicht in den operativen Ergebnissen (EBIT, EBITDA) wider. Die Werte dieser Vermögensgegenstände werden aber von den Investoren honoriert und erhöhen die Börsenkapitalisierung dieser Unternehmen. Eine Gegenüberstellung von Vermögen, welches nicht-betriebsnotwendiges Vermögen unterschlägt, mit einem Marktwert des Unternehmens, der diese Werte einschließt, wäre nicht brauchbar.
Der Enterprise Value
Nicht-operatives Vermögen wie Cash, Beteiligungen, Finanzanlagen oder Immobilien (die im Betriebsprozess nicht benötigt werden) ist dadurch gekennzeichnet, dass es jederzeit liquidiert werden könnte, ohne die Leistungserstellung des Unternehmens zu beeinträchtigen. Es könnte bei einer Übernahme als Teil der Finanzierung herangezogen werden. Die Vermögensbilanz des Unternehmens (zu Marktwerten) kann entsprechend umgeformt werden.

Abbildung 2: Enterprise Value
Die Berechnung des Enterprise Value kann mithin auf zwei Arten erfolgen: Durch Bestimmung des theoretischen Wertes für das betriebsnotwendige Vermögen oder durch Addition der Marktpreise für Eigen- und Fremdkapital und anschließender Subtraktion des nicht-betriebsnotwendigen Vermögens.
Werte (Aktivseite): Im Regelfall wird ein Großteil des Vermögens durch die fortlaufende Erzielung von finanziellen Überschüssen (EBIT, EBITDA, NOPAT, Operative Free Cashflows etc.) erzielt. Aufgrund des hohen Gewichtes stellt die Bewertung dieses Vermögens zumeist den Kern der Unternehmensbewertung dar und es werden ausgefeilte Methoden (z.B. DCF-Verfahren, Marktvergleiche, Substanzwerte) angewendet.
Preise (Passivseite): Bei der Bewertung von Eigen- und Fremdkapital werden häufig Marktpreise herangezogen oder es kommen vereinfachende Verfahren zu Anwendung. Der zu finanzierende Kaufpreis für ein Unternehmen bei teilweiser Refinanzierung durch das nicht-betriebsnotwendige Vermögen ergibt sich dann wie folgt
Marktwert Eigenkapital
+ Marktwert Fremdkapital
- Marktwert des nicht-betriebsnotwendigen Vermögens
= Enterprise Value (EV)
Bei einer detaillierten Betrachtung ergibt sich für den Marktpreis des Enterprise Value (EV) demnach folgendes Berechnungsschema:
Marktkapitalisierung der Stammaktien
+ Marktwert der Vorzugsaktien
+ Marktwert von Wandlungsrechten (Optionen, Wandelanleihen)
+ Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten
+ Marktwert der Anteile Dritter
+ Ggf. Barwert der Leasingverpflichtungen
+ Ggf. Nettopensionsverpflichtungen (unfunded plans)
- Wert der überschüssigen Zahlungsmittel
- Marktwert von nicht-betriebsnotwendigen Beteiligungen
- Marktwert von nicht-betriebsnotwendigen Grundstücken
- Marktwert von nicht-betriebsnotwendigem immateriellem Vermögen
= Enterprise Value (EV)
Überblick der Methoden der Wertermittlung
Die Bewertung von Unternehmen läuft darauf hinaus, die Werte und Preise von Unternehmen miteinander zu vergleichen. Bewerten heißt immer vergleichen.
Erfolgsorientierte Verfahren (z.B. Discounted-Cashflow-Model): Bei einem erfolgsorientierten Bewertungsmodell werden die prognostizierten Erfolge (z.B. NOPAT, Operative Free Cashflows) - auf der linken Seite der Bilanz – den Renditeforderungen (Kapitalkosten) aller Kapitalgeber - auf der rechten Seite der Vermögensbilanz – gegenübergestellt. Die Renditeforderungen ermitteln sich aus aktuellen Marktpreisen für risikolose Renditen und Risiken am Kapitalmarkt. Der Barwert aller Erfolge ergibt den theoretischen Wert des Enterprise Value (Unternehmenswert).
Kostenorientierte Verfahren: Der Substanzwert eines Unternehmens ergibt sich aus der Summe der isoliert bewerteten Vermögensgegenstände eines Unternehmens. Bei den Verfahren der Substanzwertermittlung handelt es sich in der Folge um Einzelbewertungsverfahren. Diese Werte werden den Markpreisen für Eigen- und Fremdkapital (Firm Value) gegenübergestellt. Man unterscheidet folgende Ausprägungen:
Reproduktionswert: Die Ermittlung von Reproduktionswerten erfolgt unter der Prämisse, dass alle im Unternehmen vorhandenen Vermögensgegenstände alternativ neu beschafft werden können. Die adäquaten Wertansätze sind Wiederbeschaffungspreise auf dem Beschaffungsmarkt.
Liquidationswert: Die Ermittlung von Liquidationswerten erfolgt unter der Prämisse, dass das Unternehmen zerschlagen wird. Im Gegensatz zum Reproduktionswert orientiert sich die Ermittlung der Substanzwerte nicht an den Preisen auf dem Beschaffungs-, sondern auf dem Absatzmarkt.
Marktorientierte Verfahren: Es erfolgt keine umfangreiche Bewertung aller zukünftigen Erfolge oder Vermögensgegenstände, sondern es werden die Marktpreise des Unternehmens - auf der rechten Seite der Bilanz – einem nachhaltigen Indikator für den Wert des Unternehmens - auf der linken Seite der Bilanz – gegenübergestellt. Mit Hilfe von Relativierungen können zudem die Bewertungen verschiedener Unternehmen miteinander verglichen werden. Marktvergleiche liefern damit auch Indikatoren für erfolgsorientierte und eine kostenorientierte Bewertungen.
Bewertung je verdienter Kapitaleinheit: Der Marktpreis des Enterprise Value wird einem nachhaltigen Erfolgsindikator für das operative Geschäft (z.B. Umsatz, EBITDA, NOPAT, Operativer Free Cashflows) gegenübergestellt. Die entsprechenden Verhältniskennzahlen (z.B. EV/Sales oder EV/EBITDA) ermöglichen einen praktikablen Bewertungsvergleich der Erfolge verschiedener Unternehmen.
Bewertung je investierter Kapitaleinheit: Der Marktpreis des Enterprise Value wird dem Substanzwert des operativen Geschäfts (Invested Capital, Capital Employed, Betriebsvermögen) gegenübergestellt. Die entsprechenden Verhältniskennzahlen (z.B. EV/Invested Capital) ermöglichen einen praktikablen Bewertungsvergleich der Substanz verschiedener Unternehmen.
Der Wert der Aktien (Shareholder Value)
Der Marktwert der Stammaktien ergibt sich als Residualgröße aus einer Bewertung des Unternehmens (Enterprise Value). Es gilt:
Enterprise Value
- Marktwert der Vorzugsaktien
- Marktwert von Wandlungsrechten (Optionen, Wandelanleihen)
- Marktwert der zinstragenden Verbindlichkeiten
- Marktwert der Anteile Dritter
- Ggf. Barwert der Leasingverpflichtungen
- Ggf. Nettopensionsverpflichtungen (unfunded plans)
+ Wert der überschüssigen Zahlungsmittel
+ Marktwert von nicht-betriebsnotwendigen Beteiligungen
+ Marktwert von nicht-betriebsnotwendigen Grundstücken
+ Marktwert von nicht-betriebsnotwendigem immateriellem Vermögen
= Marktwert der Stammaktien
Überblick der Methoden zur Preisermittlung