Der Artikel wurde in der Ausgabe 09/18 der Fachzeitschrift Corporate Finance veröffentlicht.
Einleitung
Überkreuzbeteiligungen sind in Deutschland selten geworden. In der deutschen Wirtschaftswelt gab es in den vergangenen drei Jahrzehnten eine starke Tendenz, die verbliebenen Konglomerate unter der Devise „Konzentration auf die Kernkompetenzen“ zu entflechten. In der Zeit davor waren Überkreuzbeteiligungen in der Finanzbranche (bei Banken und Versicherungen) sehr beliebt. Dafür wurde der Begriff „Deutschland AG“ geprägt.
In weiten Teilen Asiens sind Überkreuzbeteiligungen aber noch sehr verbreitet. In Japan, Korea und China wird seit dem 19. Jahrhundert die Entstehung großer nationaler Champions gefördert. So sind in Japan große Familienunternehmen unter der Bezeichnung Zaibatsu entstanden. Bekannte japanische Konglomerate sind Toyota, Mitsubishi, Kawasaki, Sony und Matsushita (Panasonic). Korea folgte diesem Beispiel und baute mit großer politischer Unterstützung einflussreiche nationale Familienunternehmen auf. Die bekanntesten Vertreter sind Hyundai, Samsung und LG. Die verschiedenen Konzernunternehmen sind in diesen Strukturen häufig über wechselseitige Beteiligungen miteinander verbunden.
Die Bewertung und Beurteilung von unübersichtlichen Konzernen mit Überkreuzbeteiligungen ist nicht trivial. Das folgende Beispiel soll dies illustrieren.
Beispiel: Jardine Group
Die Jardine Group ist ein Konglomerat aus Hong Kong, das im 19. Jahrhundert von schottischen Auswanderern (Familie Keswick) gegründet wurde. Der Konzern beschäftigt heute mehr als 200.000 Mitarbeiter und erzielte 2017 einen Umsatz von ca. 40 Mrd. €. Die folgende Übersicht bildet die Konzernstruktur ab.
Abb. 1: Konzernstruktur der Jardine Group
Die Konzernstruktur ist im Kern durch eine Überkreuzbeteiligung gekennzeichnet: Jardine Matheson hält 84% an Jardine Strategic und im Gegenzug hält Jardine Strategic 58% an Jardine Matheson. Beide Unternehmen sind an der Börse in London gelistet. Diese rechtliche Struktur der Unternehmen bezeichnet man auch als Schleife bzw. Zirkel (Loop), Ringverflechtung (Circular Ownership), Rückbeteiligung (Reverse Ownership) oder Überkreuzbeteiligung (Cross Ownership).
Die verbreiteten Bewertungsverfahren orientieren sich häufig an den rechtlichen Verhältnissen und gestehen den Eigentümern von Jardine Matheson oder Jardine Strategic einen Wert gem. ihrer Beteiligungsquote zu. So teilt man bei einem Discounted Cashflow (DCF)-Modell oder einer Betrachtung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) den Wert bzw. den Gewinn des Unternehmens durch die Anzahl der Aktien. So würde einem Aktionär, der z.B. 1% an Jardine Matheson hält, häufig auch 1% des Unternehmenswertes von Jardine Matheson zugebilligt.
Bei dieser rein rechtlichen Betrachtung übersieht man jedoch, dass es gar nicht erforderlich ist, alle Aktien aufzukaufen, um die gesamten entziehbaren Überschüsse der Konzerne zu vereinnahmen. Bei Jardine Matheson müssten nur die außenstehenden 16% der Aktien aufgekauft werden (84% gehören Jardine Strategic) und bei Jardine Strategic nur die außenstehenden 42% der Aktien (58% gehören Jardine Matheson). Die gängigen Bewertungsverfahren müssen deshalb entsprechend modifiziert werden.
Bewertung einfacher Überkreuzbeteiligungen
Die Grundstruktur eines Unternehmens mit Überkreuzbeteiligung kann wie folgt veranschaulicht werden.
Abb. 2: Einfache Überkreuzbeteiligung
Ein Eigentümer P1 (bei einem börsennotierten Unternehmen könnte es ein Aktionär sein) besitzt eine Beteiligung von f1 an einem Unternehmen U1. Die restlichen Anteile (s21) an U1 besitzt das Unternehmen U2, das wiederum teilweise (s12) im Eigentum von U1 ist. Bei dem Unternehmen U1 könnte es sich um ein börsennotiertes Unternehmen handeln, bei U2 um dessen nicht-börsennotierte Tochter.
Man kann das Unternehmen U2 anschaulich auch als „Sparbüchse“ von U1 bezeichnen. In U2 sammeln sich die ausgeschütteten Gewinne und die Wertsteigerungen von U1 an. Wenn es gelingt, die Überkreuzbeteiligung zu verschleiern, werden die ausgeschütteten Gewinne und Wertsteigerungen kaum vollständig dem alleinigen Eigentümer P1 zugerechnet. Die „Sparbüchse“ könnte bei Bedarf jederzeit zerschlagen werden. So könnte P1 99% der Anteile von U2 an U1 kaufen, wobei der Kaufpreis über U1 direkt wieder P1 zusteht.
Beispiel: Bewertung Jardine Group
Im betrachteten Beispiel entspricht U1 Jardine Matheson und U2 Jardine Strategic. Bei der Bewertung beider Konzerne drängt sich die Ermittlung eines Net Asset Value (NAV) auf. Alle großen Konzerngesellschaften sind börsennotiert und es lässt sich problemlos der Net Asset Value der beiden Konzernholdings bestimmen. Dies zeigt die nachfolgende Tab. 1.
Tab. 1: Sum-of-the-parts-Bewertung Jardine-Group
Bei traditioneller Betrachtung ergibt sich der Unternehmenswert aus der Summe der Werte der einzelnen Wertbeiträge aus den Tochterunternehmen. Den Eigentümern von Jardine Matheson (U1) wird insgesamt also folgender Wert v1 geschaffen:
wobei d1 die Wertbeiträge aller Beteiligungen von Jardine Matheson und d2 die gesamten Wertbeiträge von Jardine Strategic umfasst. Die Wertbeiträge von Jardine Strategic werden für einen Eigentümer von Jardine Matheson nur anteilig (s12) erfasst. Der NAV für Aktionäre von Jardine Matheson beträgt mithin 26,67 Mrd. €, respektive 24,05 Mrd. € für Aktionäre von Jardine Strategic.
Bei einer traditionellen Betrachtung scheinen die Konzerne nahezu fair bewertet zu sein. Bei einem Net Asset Value (NAV) von 30,18 Mrd. € für alle Beteiligungen beträgt die Marktkapitalisierung der beiden Holdings 34,11 Mrd. €. Dabei offenbart sich jedoch ein bewertungslogischer Widerspruch. Der Kauf der außenstehenden Aktien (14% von Jardine Matheson und 42% von Jardine Strategic) würde nur etwa 9,64 Mrd. € kosten. Falls man doch auf die Idee kommen sollte, 100% beider Holdings aufzukaufen (für ca. 34,11 Mrd. €), würde ein Großteil der Kaufpreise (ca. 24,47 Mrd. €) aufgrund der Überkreuzbeteiligung wieder an die Käufer zurückfließen.
Die gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung müssen deshalb modifiziert werden. Der Wert der einzelnen Wertbeiträge ist in einem Konzern mit Überkreuzbeteiligungen größer. Dies veranschaulicht die folgende Betrachtung. Zahlt Jardine Matheson (U1) z.B. 100€ an seine Eigentümer, erhält ein Eigentümer von Jardine Matheson (P1) zunächst einen Betrag von f1×100€. Der Restbetrag s21×100€ steht Jardine Strategic (U2) zu und kann teilweise wiederum – früher oder später – an Jardine Matheson (U1) bzw. dessen Eigentümer (P1) ausgeschüttet werden. Es ergibt sich eine Endlosschleife. Der Betrag, der einem Eigentümer von Jardine Matheson (P1) insgesamt zusteht, ist demnach:
Wenn man einen Wertbeitrag allgemein als d1 bezeichnet, kann man die Formel auch umformulieren in:
Mathematisch ergibt sich eine unendliche geometrische Reihe, die gegen
konvergiert. Man erkennt, dass sich der wirtschaftliche Wert eines Wertbeitrages um den Faktor 1/1–s12×s21 erhöht hat. Je höher die Überkreuzbeteiligung, desto höher letztlich der Anspruch auf die Cashflows für die außenstehenden Eigentümer in der Zirkelstruktur. Im Beispiel der Jardine Group beträgt der Nenner 0,5128, deshalb ist der wirtschaftliche Wert auch etwa doppelt so groß wie der rechtliche Wert.
Es ist bemerkenswert, dass der Faktor 1/1–s12×s21 für alle Wertbeiträge im Konzern gilt. Den Eigentümern von U1 wird also insgesamt der folgende, modifizierte Wert geschaffen:
Man erkennt, dass sich auch bei dieser Betrachtung die Wertbeiträge von U1 und U2 addieren. Es gilt – wie auch in anderen Betrachtungen zur Unternehmensbewertung – die Wertadditivität: Der Wert eines aus zwei Zahlungsströmen kombinierten Zahlungsstroms entspricht der Summe der Werte der einzelnen Zahlungsströme. Insgesamt hat sich der Wert des Konzerns gegenüber einer traditionellen Unternehmensbewertung also um den Faktor 1/1–s12×s21 erhöht. Aus den Formeln (1) und (4) folgt:
Diese Erkenntnis erlaubt eine recht einfache Vorgehensweise bei der Bewertung von Unternehmen mit einer Überkreuzbeteiligung. Der Bewerter kann wie gewohnt den Unternehmenswert v1 anhand eines geeigneten Verfahrens bestimmen. Der Wert des Unternehmens (bzw. einer Beteiligung) muss nur noch mit dem Faktor 1/1–s12×s21 multipliziert werden, um den modifizierten Wert zu erhalten.
Bei der Betrachtung der Werte je Aktie ergibt sich dann entsprechend:
Den Term im Nenner, Anzahl Aktien×(1–s12×s21), kann man auch als wirtschaftliche Anzahl der Aktien oder effektive Anzahl der außenstehenden Aktien bezeichnen. Für die Werte je Aktie gilt mithin:
Formel (7) verdeutlicht, dass es damit letztlich zwei Möglichkeiten gibt, Konzerne mit einer Überkreuzbeteiligung zu bewerten. Entweder man bewertet die modifizierten Wertbeiträge und teilt dann durch die rechtliche Anzahl der Aktien, oder man ermittelt wie gewohnt den Unternehmenswert und teilt entsprechend durch die wirtschaftliche/effektive Anzahl der Aktien. Die letzte Vorgehensweise erscheint praktikabler.
Beispiel Fortsetzung: Bewertung Jardine Group
Bruttoansatz (Modifizierte Wertbeiträge): Für die Eigentümer der Holdinggesellschaften generieren Zahlungen aus allen Gesellschaften im Konglomerat gem. (4) folgende Wertbeiträge:
Man erkennt, dass die außenstehenden Eigentümer jew. aus der eigenen Holding einen Wert generieren, der weit über die ursprüngliche Zahlung hinausgeht. Aufgrund der Überkreuzbeteiligung „zirkeln“ Großteile der ursprünglichen Zahlungen immer wieder zurück und addieren noch einen Wert von 95,01% auf die ursprüngliche Zahlung. Daneben schafft, aufgrund der Überkreuzbeteiligung, auch die jew. andere Holding einen Wert für die Eigentümer. Die Werte können in Höhe der jeweiligen Beteiligungsquote vereinnahmt werden.
Bei den Zahlungen dJM oder dJ könnte es sich um laufende Dividenden, Free Cashflows oder Liquidationserlöse der einzelnen Beteiligungen handeln. Dabei ist jedoch auf eine saubere Angrenzung zu achten. Die Zahlungen dJM bzw. dJS dürfen nicht (konsolidierte) Zahlungen aus der jew. anderen Holding beinhalten, ansonsten würde es zu einer doppelten Bewertung dieser Zahlungen kommen. Die Wertbeiträge verschiedener Unternehmensteile sind deshalb „stand-alone“, d.h. ohne die Konsolidierung der jew. anderen Holding zu bewerten.
Die veröffentlichten Konzernergebnisse vieler Unternehmen stellen diesbezüglich eine gute Ausgangsbasis dar. Besitzt ein Unternehmen A Einfluss auf ein Unternehmen B, so werden im Konzernabschluss von Unternehmen A die Wertbeiträge (aus Ergebnissen oder Cashflows) von Unternehmen B anteilig ausgewiesen. Besitzt Unternehmen B auch einen Anteil an Unternehmen A, so besteht die Gefahr, dass die Konzernzahlen von B Ergebnisbestandteile enthalten, die auch schon bei A berücksichtigt wurden (Doppelzählung).
Weder IFRS 10 (Vollkonsolidierungen in Konzernabschlüssen) noch IFRS 28 (Equity-Methode bei assoziierten Unternehmen) erklären, wie man eine derartige Doppelzählung vermeiden kann. IFRS 10 verlang aber, dass Umsätze und Ergebnisse innerhalb eines Konzerns zu eliminieren sind. Bei der Aufstellung von Konzernabschlüssen wird deshalb der Nettoansatz („net approach“) angewendet.[6] Dabei wird dem operativen Gewinn des Unternehmens A (Gewinn vor dem anteiligen Gewinn an B) der anteilige operative Gewinn an B (Gewinn vor anteiligem Gewinn aus A) zugeschlagen.
Nettoansatz (Effektive Anzahl Aktien): Die wirtschaftliche oder effektive Anzahl der Aktien beträgt bei beiden Holdings jew. nur 51,28% (1-84%×58%) der rechtlich ausgewiesenen Anteile. Teilt man wie gewohnt den NAV der beiden Konzerne ergibt sich ein Wert je Aktie von 73,45 € für die Aktien von Jardine Matheson bzw. von 42,26 € für die Aktionäre von Jardine Strategic. Anhand dieser Betrachtungen wird eine deutliche Unterbewertung der Konzerne deutlich. Für den interessierten Anleger sei angemerkt, dass die Jardine-Group eine günstige und elegante Möglichkeit darstellt, um gut gestreut in verschiedene Wachstumsmärkte in Asien zu investieren.
Die Vorgehensweise in den IFRS korrespondiert mit dieser Berechnung. Bei Anwendung des Nettoansatzes („net approach“) werden die mit den gegenseitigen Beteiligungen verbundenen Gewinne unterschlagen. Daher ist bei der Berechnung des Gewinns je Aktie die Anzahl der Aktien anzupassen, um die Überkreuzbeteiligung zu eliminieren. Für Jardine Matheson kann argumentiert werden, dass es indirekt 48,72% (58% seines Anteils von 84% an Jardine Strategic) der eigenen Aktien besitzt. Diese Aktien werden gemäß IFRS 33 als eigene Aktien („treasury stocks“) behandelt und für die Zwecke der EPS-Berechnung ignoriert.
Die Unterschiede können anhand von Tab. 2 verdeutlicht werden. Die operativen Ergebnisse (vor anteiligem Gewinn der jeweils anderen Holding) sind frei gewählt.
Tab. 2: Brutto- versus Nettoansatz bei der Jardine-Group
Es wird deutlich, dass die ausgewiesenen Ergebnisse beim Bruttoansatz (mit modifizierten Wertbeiträgen) deutlich höher ausfallen als im Nettoansatz (mit effektiver Anzahl Aktien). Beim Nettoansatz werden die werden die ausgewiesenen Ergebnisse gemäß IFRS folgendermaßen ermittelt:
Dem jeweils eigenen operativen Gewinn (operativer Gewinn vor dem anteiligen Gewinn an der anderen Holding) wird der anteilige operative Gewinn der jeweils anderen Holding zugeschlagen. Die mit der gegenseitigen Beteiligung verbundenen Gewinne werden ausgeblendet. Beim Bruttoansatz werden hingegen auch die Ergebnisse berücksichtigt, die aufgrund der Überkreuzbeteiligung zu den Eigentümern „zurückzirkeln“. Die Ergebnisse im Bruttoansatz ergeben sich mithin aus:
Bewertung eines komplexen Konzerns
Modifizierte Werte
Bisher wurde nur eine einfache Überkreuzbeteiligung betrachtet. Die Erkenntnisse können auf ein verallgemeinertes Modell mit mehreren Überkreuzbeteiligungen übertragen werden. Es gibt nun insgesamt N Unternehmen in einer Konzernstruktur mit Überkreuzbeteiligungen. Der Wert für die Eigentümer eines Unternehmens i ergibt sich analog zu (1) aus der Summe aller mit dem Anteilsbesitz gewichteten Wertbeiträge:
Der Wert für die Eigentümer eines Unternehmens i entspricht dem (initialen) Wertbeitrag des betrachteten Unternehmens di zzgl. der Wertbeiträge aus den Überkreuzbeteiligungen. Man beachte auch hier, dass in den Wertbeiträgen der einzelnen Unternehmen dj keine Ergebnisse aus den anderen Beteiligungen konsolidiert sind, ansonsten würde es zu einer Doppelzählung dieser Ergebnisse kommen.
In Matrixform lässt sich dies auch folgendermaßen abbilden:
wobei v = [v1…vN]', d = [d1…dN]' und S die Matrix der Beteiligungsverhältnisse repräsentiert:
Dabei bezeichnet sij jew. den Anteil des Unternehmens i an dem Unternehmen j. Durch einfache Umformung erhält man:
wobei IN eine Einheitsmatrix mit N Diagonalelementen bezeichnen soll. Formel (13) ist die zentrale Gleichung, um in einer komplexen Struktur mit diversen Überkreuzbeteiligungen das Vermögen für die Eigentümer zu messen. Mathematisch ist das Vorgehen also recht einfach: Man ermittelt die Wertbeiträge aller Konzernunternehmen und die Beteiligungsverhältnisse untereinander und kann anhand von Formel (13) sehr schnell die Werte für alle Eigentümer der Konzernunternehmen bestimmen.
Zur Veranschaulichung wird noch einmal das Beispiel mit der Überkreuzbeteiligungen von zwei Unternehmen betrachtet. In der Matrixschreibweise gilt:
Für [IN–S] ergibt sich dann die folgende Matrix:
bzw. für die Inverse bei Verwendung der Determinante:
Die Werte für die Eigentümer der beiden Unternehmen lassen sich dann folgendermaßen bestimmen:
Effektive Anteile
Nicht nur die Werte, auch die Höhe der effektiven Beteiligung ist für die Unternehmensbewertung von Interesse. Als effektive Beteiligung bezeichnet man die Summe aller direkten und indirekten Anteile an einem Konzernunternehmen. Man erhält sie, indem man zur Direktbeteiligung xi an einem Unternehmen i auch die indirekten Beteiligungen addiert. Es gilt:
Mit f sei der Vektor f = [f1…fN ]' bezeichnet, der die integrierten Beteiligungen zusammenfasst. Analog zu (9) gilt dann in Matrixschreibweise:
mit der Lösung
Am Beispiel der Überkreuzbeteiligung mit zwei Unternehmen wäre das:
Anhand der Formeln (13) und (20) kann man dann eine Dualität erkennen:
Es ist ersichtlich, dass der Wert der direkten Beteiligungen an den integrierten Wertbeiträgen aller Konzernunternehmen dem Wert der effektiven Beteiligungen an den einzelnen Wertbeiträgen entspricht. Es gibt mithin zwei Möglichkeiten, den wirtschaftlichen Wert einer Beteiligung aufzuzeigen. Entweder man addiert alle Direktbeteiligungen an den integrierten Werten der Gruppe oder man addiert alle effektiven Anteile an den einzelnen Wertbeiträgen der Konzernunternehmen.
Die letzte Vorgehensweise ist praktikabler. Der Bewertende bleibt in seiner gewohnten Modellwelt und bei den üblichen Verfahren, man muss am Ende nur durch eine entsprechend verringerte (wirtschaftliche/effektive) Beteiligungsquote teilen. Die Bewertungsschritte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Bewerte den Konzern anhand eines geeigneten Verfahrens. Dabei können alle gängigen Methoden der Unternehmensbewertung (DCF-Methode, Multiplikatoren, Net Asset Values etc.) zur Anwendung kommen. Die nach IFRS konsolidierten Konzernzahlen bieten die passende Ausgangsbasis. Doppelzählungen sind nicht zu befürchten. Die Bewertung kann ggf. durch eine Bewertung der Einzelteile (Sum-of-the-parts-Bewertung) verfeinert werden.
Ermittle die Beteiligungsverhältnisse der verschiedenen Konzernunternehmen und berechne die Determinante der Matrix (IN-S').
Berechne die Höhe der wirtschaftlichen/effektiven Beteiligung, indem die rechtliche ausgewiesene Beteiligung mit der Höhe der Determinante der Matrix (IN-S') multipliziert wird.
Im IDW-Standard S1 zur Unternehmensbewertung ist die Bewertung von Überkreuzbeteiligungen nicht verankert. Die Generalklausel (Ziffer 13) lautet: “Während sich der Unternehmenswert als Gesamtwert des Unternehmens auf alle Unternehmenseigner bezieht, entspricht der Wert eines Unternehmensanteils dem jeweiligen Anteil eines Unternehmenseigners am Unternehmen.“. Das Zuflussprinzip (Ziffer 25) besagt, dass diejenigen finanziellen Überschüsse werbestimmend sind, die in den Verfügungsbereich der Eigentümer gelangen. Die Generalklausel in Verbindung mit dem Zuflussprinzip würde in der aktuellen Fassung auf die Anwendung von integrierten Wertbeiträgen hinauslaufen. Dem einzelnen Investor werden auch die Cashflows zugerechnet, die aufgrund der Überkreuzbeteiligungen „zurückzirkeln“ und somit in seinen Verfügungsbereich gelangen. In diesem Fall darf jedoch nicht durch die Anzahl der „effektiv in Umlauf“ befindlichen Aktien geteilt werden. Es muss dann auf die rechtliche Zahl der Aktien abgestellt werden.
Viele Bewerter orientieren sich aber an der Konzernbilanzierung und verwenden bei Überkreuzbeteiligungen die effektive Anzahl der außenstehenden Aktien. Allerdings wird der Begriff „effektiv im Umlauf“ in der Literatur zur Bilanzierung unterschiedlich ausgelegt. Teilweise werden nur die direkt am Mutterkonzern von Tochtergesellschaften gehaltenen Aktien abgezogen („partial treasury stock method“). Es wäre deshalb wünschenswert, dass der IDW in kommenden Bewertungsstandards die Vorgehensweise bei Überkreuzbeteiligungen präzisiert. Der aktuelle Standard ist diesbezüglich unscharf, ermöglicht Spielräume und dürfte aufgrund mangelnder Vertrautheit vieler Bewerter mit Überkreuzbeteiligungen auch fehlerhafte Bewertungen fördern.
Beurteilung von komplexen Unternehmensstrukturen
Die Unternehmensbewertung hat zum Ziel, den wirtschaftlichen Nutzen zu bestimmen, den die Kapitalgeber aus dem Unternehmen ziehen können. Der Nutzen wird aber nicht nur durch den Wert der Zahlungsströme bestimmt, auch andere Aspekte müssen beachtet werden. Diese Aspekte sind in der vorgestellten Berechnungen nicht enthalten. Sie lassen sich schwerlich quantifizieren, sollten aber nicht unterschlagen werden.
Der Nutzen von Überkreuzbeteiligungen muss differenziert betrachtet werden: Der Nutzen ist für die Großaktionäre (Controlling Interest) regelmäßig größer als für die Minderheitsaktionäre (Non-Controlling Interest). Überkreuzbeteiligungen eröffnen dem Großaktionär (im Beispiel der Familie Keswick) zahlreiche Vorteile. Trotz eines geringen Kapitaleinsatzes (bzw. einer geringen Beteiligung an den Holdings) können große Konzerne mit vielen Tochtergesellschaften kontrolliert werden. Überkreuzbeteiligungen bieten damit einen guten Schutz für feindliche Übernahmen.
Überkreuzbeteiligungen erleichtern es, den rechtlich beizulegenden Wert von Beteiligungen zu verschleiern. Die Beteiligungsverhältnisse bzw. die effektiv außenstehenden Anteile sind häufig nicht verlässlich zu bestimmen. Nicht zuletzt die Panama- und Paradise-Papers haben dies deutlich gemacht. In der Folge können Überkreuzbeteiligungen zur Reduzierung von Erbschaft- und Schenkungsteuer genutzt werden. Auch Zugewinne bei Scheidungen oder Abfindungszahlungen lassen sich durch komplexe Strukturen schmälern.
Bei Minderheitseigentümern sind Konglomerate und unübersichtliche Unternehmensstrukturen dagegen eher unbeliebt. Die Prinzipien guter Corporate Governance werden regelmäßig missachtet. Die „üblichen“ Principal-Agent-Probleme sind bei unübersichtlichen Konglomeraten sehr ausgeprägt. Die von den Familien kontrollierten Manager besitzen einen deutlichen Informationsvorsprung („Hidden Information“) vor den Minderheitsgesellschaftern (asymmetrische Informationsverteilung). Diesen Informationsvorsprung können die Familien nutzen, um ihre eigenen Ziele, und nicht diejenigen der Minderheitseigentümer, zu verfolgen („Hidden Action“). Die kontrollierenden Familien können Handlungsspielräume nutzen, um ihren eigenen Nutzen auf Kosten der Minderheitseigentümer zu steigern (Moral Hazard).
Minderheitsaktionären wird es im Regelfall unmöglich gemacht, Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen. Bei einer Unzufriedenheit mit der Leistung des Managements ist es ihnen verwehrt, Druck auf das Management aufbauen, um die Strategie des Konzerns in ihrem Sinne zu verändern. Es besteht auch kaum die Chance, dass Hedge Fonds oder Activist Investors Maßnahmen ergreifen, um die Strategie im Sinne der Minderheitsaktionäre zu verändern. Übernahmen und Übernamephantasien (Aussicht auf hohe Verkaufspreise) sind ebenfalls unwahrscheinlich. Für Minderheitsaktionäre erscheint deshalb ein deutlicher Konglomeratsabschlag (ca. 30%) auf die Bewertung angemessen.
Zirkelstrukturen eröffnen aber allen Eigentümern (Controlling und Non-Controlling) einen kaum wahrgenommenen Vorteil. Eine Zirkelstruktur wirkt ähnlich wie ein herkömmlicher Aktienrückkauf. Die Jardine-Group macht schon seit Jahren davon Gebrauch: Regelmäßig wird ein Großteil des Operating Cashflows der Konzerne dazu verwendet, Anteile an der jew. anderen Holding aufzukaufen. Die indirekten Aktienrückkäufe in Zirkelstrukturen haben den Vorteil, dass sie unbegrenzt vorgenommen werden können und nicht auf einen Anteil am Grundkapital (z.B. in Deutschland 10% gem. § 71 AktG) beschränkt sind.
Dazu ein kleines Gedankenexperiment: Die jährlichen operativen Cashflows der Jardine-Group betragen ca. 3 Mrd. €. Davon werden ca. 1 Mrd. € jedes Jahr für Käufe von Anteilen innerhalb des Konglomerats verwendet. Das ergibt für die Eigentümer viel Sinn, denn die Aktien des Konzerns sind deutlich unterbewertet. Die Eigentümer können elegant und von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen ihren effektiven Anteil am Konzern stetig ausbauen. Die Marktkapitalisierungen der Konzerne suggerieren dagegen eine annähernd faire Bewertung der Aktien. Bei der derzeitigen „Rückkaufgeschwindigkeit“ würde auf die letzte außenstehende Aktie in ca. einem Jahrzehnt der gesamte Wert des Konzerns (also etwa 36,6 Mrd. €) entfallen.
Zusammenfassung
Die gängigen Verfahren der Unternehmensbewertung werden dem Einfluss von komplexen Unternehmensstrukturen häufig nicht gerecht: Überkreuzbeteiligungen wirken ähnlich wie Aktienrückkäufe, allerdings ohne die Anzahl der Aktien entsprechend zu reduzieren. Mit leichten Modifikationen ist es jedoch möglich, den effektiven Wert für die Eigentümer dieser Konzerne zu bestimmen.
Unübersichtliche Konglomerate mit Überkreuzbeteiligungen sind insbesondere in Asien zu finden. Die Regierungen in Japan und Korea wollen unübersichtliche Konglomerate mittlerweile aber entflechten. Die Eigentümerfamilien sind den Regierungen zu mächtig geworden, es gibt Korruptionsskandale und der Mittelstand in diesen Ländern wird gehemmt. Eine Entflechtung dieser Konglomerate würde den wirtschaftlichen Wert für die außenstehenden Aktionäre transparent machen und dem Wert der Aktien Impulse geben. Die Entflechtung der „Deutschland AG“ dient dabei als Vorbild.